Die Krise mit der „Krise“
Veränderung passiert, wenn der Leidensdruck zu groß wird
oder die Sehnsucht größer ist als die Angst.
In unserem alltäglichen Sprachgebrauch wird das Wort „Krise“ nahezu inflationär verwendet. Häufig hören wir Formulierungen wie „Ich krieg‘ die Krise“ oder es gibt eine „Krisensitzung“. Wir haben eine Krise mit unserem Partner oder einer Arbeitskollegin. Wir kriegen eine Krise, wenn wir daran denken, was wir heute noch alles zu erledigen haben oder weil wir gerade im Stau stehen.
Dabei gibt es durchaus Definitionen für „Veränderungskrisen“, „Sinnkrisen“, „traumatische Krisen“ o.Ä. Darauf einzugehen, würde jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Was als Krise erlebt wird, ist höchst individuell und hängt von der jeweils betroffenen Person, ihrem Umfeld und den Rahmenbedingungen ab, in der sich die Person gerade befindet. Was der/die Eine als herausfordernde Situation erlebt, kann für eine andere Person bereits eine enorme Krise bedeuten. Wesentlich sind auch die Ressourcen bzw. sogenannten „Coping-Strategien“, die sich die betroffene Person durch die erfolgreiche Bewältigung von Problemen, Herausforderungen oder Krisen in ihrem Leben bereits aneignen konnte. Schließlich ist die Eigenschaft der Resilienz eine wichtige, wenn es um die erfolgreiche Bewältigung von Krisen geht.
Eine Krise zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie zeitlich begrenzt ist und eine Art „Übergang“ darstellt: „Das Alte ist nicht mehr, das Neue ist noch nicht!“
Die Dynamik einer Krise
Als psychosoziale Beraterin und Prozessbegleiterin habe ich schon häufig festgestellt, dass Menschen dazu tendieren, sich von der Dynamik einer Krise vereinnahmen zu lassen. Sie richten ihre ganze Energie auf etwas, das sie nicht steuern können und erleben dann Gefühle von Unsicherheit, Bedrohung, Angst und Ohnmacht. In unserer westlichen Kultur sind wir gewohnt, Problemen, Herausforderungen und Krisen rational zu begegnen. Wir setzen alles daran, zu kontrollieren, was eigentlich nicht zu kontrollieren ist. Was wir häufig dabei außer Acht lassen: Krisen gehören als Teil der großen Ordnung (Gesetz der Polarität) auch zum Leben dazu. Was wären unsere Höhen ohne unsere Tiefen?!
Mitten in der Krise fällt es oft schwer daran zu glauben, dass alles wieder gut wird, dass jeder Mensch die Ressourcen in sich trägt, um mit solch herausfordernden Situationen umzugehen und gestärkt aus ihnen hervorgehen zu können.
Neue Wege durch professionelle Unterstützung finden
Selbstverständlich geht es in der Akutsituation einer Krise (Verlust eines wichtigen Menschen, Jobverlust, Konfrontation mit einer lebensbedrohlichen Krankheit, etc.) zunächst einmal um eine Stabilisierung. Dabei kann es sehr hilfreich sein, neue Wege zu beschreiten wie beispielsweise die Unterstützung durch eine psychosoziale Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine vertrauensvolle Beziehung zu einer/einem psychosozialen BeraterIn öffnet häufig die Tür zur eigenen Gefühlswelt. Das Zulassen von Gefühlen wie Trauer, Scham, Ärger, Wut, Verzweiflung, Ohnmacht, Hilflosigkeit ist ein wichtiger Schritt im Bewältigungsprozess einer Krise. Es ist auch essentiell, mit sich selbst liebevoll umzugehen und sich die Zeit zu nehmen, die man für die Bewältigung der Krise benötigt. Viele Menschen haben das in ihrer Erziehung bzw. Sozialisierung nicht gelernt. Sie suchen häufig die Schuld für die Krise bei sich selbst, erleben sich als VersagerIn oder machen sich Vorwürfe, wenn sie die Bewältigung nicht innerhalb einer bestimmten Zeit aus eigener Kraft schaffen.
Im Umgang mit und in der Bewältigung von Krisen geht es darum, die Kraft und Ressourcen auf das zu fokussieren, was unsere Aufgabe ist: unsere Aufmerksamkeit und unser Handeln auf die Bewältigung der herausfordernden Situation zu richten. Sich dabei Hilfe zu suchen bzw. anzunehmen, ist völlig in Ordnung! Wie lange der Prozess der Krisenbewältigung dauert, ist individuell verschieden und immer genau „richtig“. Richtig ist, was hilfreich für die betroffene Person ist. Denn das, was als hilfreich erlebt wird, führt dazu, dass die Krise als Chance zur individuellen Weiterentwicklung „entdeckt“ und deren Bewältigung als Stärkung der eigenen Ressourcen und Kompetenzen erlebt werden kann.
Zur Autorin: Bernadette Breitegger, MBA BA ist diplomierte Lebens- und Sozialberaterin, psychosoziale Beraterin und Prozessbegleiterin, systemische Coachin und Unternehmensberaterin. Mehr Infos zu ihr finden Sie unter www.bewegteberatung.at